Wera Fischer

Dipl.Sozialarbeiterin und Mediatorin

74889 Sinsheim, Sunnisheimring 45

 

 

 

Wieviel Vater braucht ein Kind

-ein fiktives Interview-

 

Es gibt immer mehr getrennt lebende und alleinerziehende Mütter. Sie sehen sich häufig vor die Frage gestellt "Wieviel Vater braucht das Kind?" Aber auch Väter, die nicht mit ihren Kindern zusammenleben stellen sich häufig die Frage, "wie wichtig bin ich für mein Kind?". Streitende Eltern wissen häufig nicht, ist es besser für das Kind, wenn ich mich weiterhin einmische, oder wird es für das Kind einfacher, wenn ich mich raushalte und das Kind dem anderen Elternteil überlasse. Das folgende (fiktive) Interview ist geeignet Eltern Informationen zu vermitteln und Hinweise zu geben, wie sie in solchen Situationen ihrem Kind gerecht werden können. Die Antworten basieren auf meiner langjährigen Erfahrung als Beraterin von Familien in Trennungs-/ und Scheidungssituationen und beziehen neuere wissenschaftliche Erkenntnisse mit ein.

 

1. Wie wichtig sind Väter für ihre Kinder?

 

Wissenschaftliche Erkenntnis ist, daß vaterlos aufwachsende Kinder Einschränkungen in ihrer Identitäts- und Selbstwertentwicklung, in ihrer Bindungs- und Beziehungsfähigkeit und in ihrer Leistungsfähigkeit erfahren. Kinder sind für ihre gesunde Persönlichkeitsentwicklung auf beide Eltern angewiesen. Es gilt heute als gesicherte Erkenntnis, daß es keinen wichtigeren/unwichtigen Elternteil gibt. Beide Eltern sind gleichwichtig für die kindliche Entwicklung. Ohne den zweiten Elternteil kann das Kind bestimmte Entwicklungsschritte nicht oder nur eingeschränkt vollziehen. So stehen beispielsweise Mutter und Kind von Anfang an vor der Entwicklungsaufgabe einander loszulassen. Dabei spielt der Vater eine wichtige Rolle. Er wird zum Modell für das Kind, wie man von der Mutter getrennt ist und dennoch mit ihr verbunden bleibt. Und es ist die Beziehung zum ihm, die dem Kind die notwendigen Ablösungsschritte ermöglicht. Denn das Kind kann sich auf die mit der Ablösung verbundenen Konflikte mit der Mutter eher einlassen, wenn es weiß, daß es noch eine zweite sicherheitgebende Beziehung gibt. Fehlt diese zweite Elternbeziehung kommt es meist zur "Überbindung" an den verbliebenen Elternteil. Folge davon sind Kinder die entweder nicht gehen oder die Trennung sehr abrupt vollziehen, d.h. den Kontakt völlig abbrechen.

 

Wenn der Vater als zweites Bindungsobjekt fehlt, kann das Kind aber auch nicht die Erfahrung machen, mit zwei Personen in Verbindung zu stehen, die selbst eine Beziehung miteinander haben. D.h. es lernt den Umgang mit der 3-erBeziehung nicht. Seine Ur-Erfahrung bleibt auf eine zweier-Beziehungen beschränkt. Das wiederum hat Einfluß auf die eigene Beziehungsgestaltung. Es wird immer wieder versucht, Exclusivität in Beziehungen herzustellen, was in der Regel zu sozialer Isolation führt. Im Erwachsenenalter kann es zu Problemen kommen, wenn aus der Paar-Beziehung eine Dreierbeziehung wird, wenn also ein Kind kommt. Nicht selten wird dann versucht Exclusivität in der Eltern-Kind-Beziehung zu schaffen und die Eltern werden zu Konkurrenten ums Kind. Oder es gelingt nicht die Elternbeziehung und die Paarbeziehung parallel zu leben und ein Elternteil zieht sich entweder aus der Elternrolle oder aus der Partnerrolle zurück.

 

In Familien, in denen der Vater fehlt, haben die Kinder kein Modell für die Geschlechterrolle. Jungs wissen dann nicht, wie sie sich als Junge verhalten sollen, sind unsicher im Umgang mit anderen Jungs und wissen auch nicht, wie man als Junge mit einem Mädchen umgeht.

Mädchen fehlt die Erfahrung, wie man als Frau mit einem Mann umgeht. Meist hat das zur Folge daß sie sich in Beziehungen zum anderen Geschlecht unsicher oder auch unwohl fühlen, das wiederum hat Einfluß auf die spätere Partnerwahl und die Haltbarkeit von Beziehungen.

Man weiß, daß Töchter zu einem großen Teil ihr Selbstbild als Frau über den Vater beziehen. Er ist der erste Mann in ihrem Leben, der ihnen das Gefühl gibt wichtig zu sein, indem er ihr Aufmerksamkeit schenkt, oder unwichtig zu sein, indem er sich nicht um sie kümmert. Das wiederum hat Einfluß darauf, welchen Stellenwert sie sich in einer späteren Partner-Beziehung zuschreibt.

 

Dem Mythos: Mütter sind wichtiger als Väter ist längst die wissenschaftliche Basis entzogen. Aber er hält sich hartnäckig in den Köpfen von Eltern und Fachleuten. Väter glauben auch heute noch oft sie seien nicht wichtig für ihre Kinder und Mütter glauben nicht selten, sie seien wichtiger als der Vater. Aber auch in strittigen Sorgerechtsfällen geht es heute noch darum herauszufinden, wer die wichtigere Bezugsperson ist, anstatt sich daran zu orientieren, welcher Elternteil am ehesten in der Lage ist dem Kind beide Elternbeziehungen zu erhalten. Es ist aber der Erhalt beider Elternbeziehungen, was Entwicklungsbeeinträchtigungen des Kindes verhindert.

 

 

2. Ab wann sind Väter wichtig für ihre Kinder und wieviel Zeit sollten Väter mit ihren Kindern verbringen?

 

Der Vater ist von Anfang an wichtig. Man weiß heute, daß Kinder parallel zur Mutter auch eine Beziehung zum Vater entwickeln, sofern auch er als Bezugsperson zur Verfügung steht. Dazu muß der Vater nicht im gleichen Umfang wie die Mutter in die Versorgung des Kindes einbezogen sein. Erfahrungsgemäß entwickeln Kinder selbst bei der traditionellen Rollenaufteilung (der Vater übernimmt die finanzielle Versorgung der Familie, die Mutter kümmert sich überwiegend um die Versorgung der Kinder) intensive Beziehungen zu beiden Eltern. Entscheidend ist, wie gut es dem Vater gelingt, die Bedürfnisse seines Kindes zu erkennen und darauf einzugehen. Um das zu erlernen braucht er - genau wie die Mutter - Zeit und Erfahrung im Umgang mit dem Kind.

 

Was den zeitlichen Umfang betrifft, so gilt die generelle Regel: je jünger das Kind ist, desto häufiger sollte der Kontakt stattfinden. Denn kleine Kinder erfahren die tatsächliche Zuwendung des Elternteils als Liebe, d.h. wer sich um mich kümmert, liebt mich - wer nicht da ist liebt mich nicht. Abwesenheit bedeutet deshalb Liebesentzug. Sind die zeitlichen Abstände zu groß, wird das Kind immer wieder der Erfahrung ausgesetzt, der andere hat mich endgültig verlassen, was den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung behindert.

Väter, die mit ihren kleinen Kindern nicht zusammenleben, sollten möglichst häufig Kontakt zu ihnen aufnehmen. Häufige kurze Kontakte sind günstiger, als ein langer Kontakt in größerem Abstand. Amerikanische Wissenschaftler empfehlen für Kinder bis zu 2 ½ Jahren tägliche Kontakte. Dort wo die Eltern weiter auseinander wohnen und tägliche Kontakte nicht praktikabel sind, sollten die Eltern darauf achten, daß Vater und Kind mindestens alle 2-3 Tage Zeit gemeinsam verbringen.

 

Häufig geschieht jedoch das genaue Gegenteil. Eltern und Fachleute vertreten die Auffassung, Kontakte des Kindes zum Vater überfordern das Kind. Obwohl diese Erkenntnisse seit 20 Jahren vorliegen, werden sie in der Praxis kaum umgesetzt. Eltern ist die Bedeutung des Vaters für die kindliche Entwicklung oft nicht bewußt und auch in der Rechtsprechung haben sie bis heute keinen Niederschlag gefunden. Bis heute wird es für ausreichend gehalten, wenn getrennt lebende Väter ihre Kinder (unabhängig vom Alter) alle 14 Tage für ein Wochenende sehen und die Hälfte der Ferien mit ihnen verbringen. Gerichtsentscheidungen, die den Bedürfnissen von Kleinkindern gerecht werden, gibt es nicht oder sind mir bis heute zumindest nicht bekannt geworden. Meist wird die Haltung eingenommen, der Vater solle abwarten, bis das Kind größer ist und die Trennung von der Mutter besser verkraften könne. Dabei wird übersehen: Hat das Kind von Anfang an Gelegenheit auch eine Bindung zum Vater zu entwickeln, sind Kontakte mit ihm (und damit die Trennung von der Mutter) anschließend meist gar kein Problem.

 

 

3. Können männliche Verwandte oder neue Partner den leiblichen Vater ersetzen?

 

Kinder können von solchen Beziehungen profitieren. Männliche Partner können als Vorbild dienen für die Geschlechtsrollenübernahme. Aber sie können den leiblichen Elternteil immer nur partiell, niemals ganz ersetzen. Die Beziehung zum Vater bleibt neben anderen guten Beziehungen, die das Kind durchaus entwickeln kann, immer wichtig. Das hängt mit der Einzigartigkeit dieser Beziehung zusammen. Jedes Kind hat nur einen Vater. Selbst wenn die Beziehung nicht gelebt wird, bleibt sie bestehen. Es ist eine schwere Kränkung für die kindliche Seele, wenn sich der Vater nicht kümmert, weil das dem Kind vermittelt bedeutungslos, nicht wichtig genug zu sein für den Vater.

Die Erfahrung mit Adoptivkindern zeigt, wie wichtig die Beziehung zu den leiblichen Eltern selbst dann noch bleibt, wenn gute Beziehungen zu den Adoptiveltern entwickelt wurden. Es sind deshalb Überlegungen in Gang gekommen von der Inkognito-Adoption überzugehen zur offenen Adoption.

Aus der Stiefelternforschung weiß man, daß solche Familienkonstellationen dann die größten Überlebenschancen haben, wenn das Kind nicht auf die Beziehung zum leiblichen Elternteil verzichten muß. Nur wenn die neue Familienkonstellation den leiblichen Elternteil einschließt, kann sie eine funktionelle Familieneinheit bilden. Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen ist, daß es dem Kind dann am schlechtesten geht, wenn es zugunsten der neuen Beziehung auf die gewachsene Beziehung zum Vater verzichten soll. Das Kind kommt in Stieffamilien dann am besten klar, wenn es beide Beziehungen haben kann.

 

 

4. Was ist mit den Kindern, deren Väter gestorben sind?

 

Der Tod eines Elternteils zieht in aller Regel eine andere Form der Trauer nach sich. Der Vater bleibt in solchen Familien meist durch die Mutter präsent. Sie ist es, die das Andenken an den Vater fördert. Dem Kind wird dadurch geholfen, die innere Verbindung zu ihm aufrechtzuerhalten. Für die Bewältigung des Vaterverlustes ist entscheidend, daß der gestorbene Vater dem Kind gegenüber keine "Schuld" auf sich geladen hat, indem er sich um sein Kind nicht kümmert. Er hat das Kind nicht freiwillig verlassen. Nicht selten versuchen sich verlassene Kinder mit der Phantasie zu helfen, ihr Vater sei gestorben. Diese Vorstellung ist leichter zu ertragen, als die verletzende Erfahrung: mein Vater will nichts von mir wissen.

 

 

 

 

5. Was raten Sie getrennt lebenden Eltern?

 

Die Eltern sollten möglichst nahe beieinander wohnen bleiben. Der Elternteil der mit dem Kind zusammenlebt muß Raum schaffen für elterliche Aktivitäten des außerhalb lebenden Elternteils.

Eltern, die nicht mit ihrem Kind zusammen leben, sollten sich bewußt in den Erziehungsalltag einbringen. Es ist wichtig, daß das Kind mit jedem Elternteil ein Stück Alltag leben kann. Eltern-Kind-Beziehungen sind keine "Besuchs"-Beziehungen und sollten deshalb auch nicht so gestaltet werden.

Bei ganz kleinen Kindern ist es wichtig, den zweiten Elternteil in die tägliche Routine miteinzubeziehen, um dem Kind die Gelegenheit zu geben, eine Beziehung zu entwickeln.

 

 

6. Welchen Einfluß hat die Beziehung zwischen den Eltern auf die Beziehung des Kindes zum außerhalb lebenden Elternteil?

 

Frau Napp-Peters hat 1990 herausgefunden:

Gehen die Eltern respektvoll und wohlwollend miteinander um,

dann erleben 63% der Kinder ihre Beziehung zum außerhalb lebenden Elternteil als eng und herzlich

gehen sich die Eltern aus dem Weg, findet die Kommunkation über die Kinder statt,

denn bezeichen nur noch 38% der Kinder ihre Beziehung zum zweiten Elternteil als liebevoll und innig.

wollen die Eltern nichts mehr voneinander wissen und lehnen Kontakte zueinander ab,

dann beschreiben nur noch 5% der Kinder die zweite Elternbeziehung als befriedigend und zufriedenstellend für sie selbst.

 

Und es gibt noch ein weiteres wichtiges Untersuchungsergebnis von ihr, das die Bedeutung der Elternbeziehung für die Qualität der Beziehung des Kindes zum außerhalb lebenden Elternteil belegt:

In Familien, in denen der zweite Elternteil weiterhin als zur Familie gehörend betrachtet wurde, die Eltern Informationen, die das Kind betrafen austauschten und sich gelegentlich bei Veranstaltungen (Schulfest, Elternabend, Freizeitaktivitäten des Kindes) oder Familienfeiern (Kindergeburtstag, Konfirmation oder Kommunion) sahen und der zweite Elternteil in elterliche Entscheidungen weiterhin eingebunden war, blieben auch die Kontakte zwischen Kind und zweitem Elternteil erhalten.

Dort wo der zweite Elternteil aus solchen Aktivitäten ausgegrenzt war, riß in über der Hälfte der Familien der Kontakt zwischen Kind und außerhalb lebendem Elternteil ab.

 

Die Bereitschaft der Eltern miteinander in Verbindung zu bleiben, den anderen Elternteil in die elterlichen Aktivitäten einzubeziehen, ist deshalb aus Kindersicht unverzichtbar. Häufig ist jedoch zu hören, das sei den Eltern (oder den Müttern) nicht zumutbar. Hier genau liegt die Nahtstelle, an der sich entscheidet, was künftig Priorität haben soll: die Erfüllung der Interessen der Eltern, oder die der Kinder.

 

 

 

 

 

 

7. Was ist zu tun, wenn Eltern sich in Fragen, die die Kinder betreffen, nicht einig sind? Ist es auch dann noch wichtig für das Kind den Kontakt zum anderen Elternteil zu haben?

 

Nicht selten verändert sich das Bild vom früheren Partner im Laufe der Beziehung. Insbesondere wenn Partnerschaften auseinandergehen, bleibt oft nichts oder nicht mehr viel von dem übrig, was man einmal für diesen Menschen empfunden hat und es gerät in Vergessenheit, was man einmal an dieser Person so sehr geschätzt hat. In Krisensituationen neigt man dazu, die eigenen Interessen an die erste Stelle zu setzen und vergißt darüber die Interessen und Bedürfnisse anderer. Deshalb geraten in der Trennungs-/Scheidungssituation die Bedürfnisse des Kindes und die des anderen Elternteils meist aus dem Blick. Nicht selten werden dann nicht nur die Qualitäten des anderen als Partner oder Partnerin in Frage gestellt, sondern auch dessen Eignung als Erzieher/Erzieherin des Kindes. Eltern übersehen dann nicht selten, daß zwar ihre Liebe zum anderen Partner erloschen ist, die Liebe des Kindes zum anderen Elternteil aber unverändert fortbesteht.

Unabhängig davon, wie sich die Eltern gegenseitig als Person einschätzen, bleibt es für das Kind wichtig, den Kontakt zu beiden Eltern zu haben und sich die innere Verbundenheit mit der Mutter und dem Vater zu bewahren. Das macht es notwendig, daß die Eltern ihre Konflikte beilegen bzw. darauf achten, daß sie ihre Paarprobleme nicht auf die Elternebene ausdehnen und sich ein Streit ums Kind entwickelt.

Dort wo tatsächlich unterschiedliche Auffassungen um die "richtige" Erziehung des Kindes bestehen ist es wichtig, daß die Eltern lernen diese Unterschiedlichkeit zu akzeptieren. Kinder können von der Erfahrung profitieren, daß es möglich ist, mit Dingen unterschiedlich umzugehen. Auch wenn Eltern zusammenleben gibt es meist einen nachgiebigeren und einen strengeren Elternteil und die Eltern setzen unterschiedliche Prioritäten, was z.B. Tischmanieren, Sauberkeitserziehung, Anhalten zur Ordnung, gesunder Ernährung oder den Fernsehkonsum betrifft. Bei getrennt lebenden Eltern geht es deshalb häufig darum Vereinbarungen zu treffen, wonach der Ex-Partner bzw. die Ex-Partnerin sich nicht in die Art der Kindererziehung oder die im anderen Haushalt geltenden Regeln einmischt, anstatt ständig zu kontrollieren, was der andere mit dem Kind macht. Kinder kommen in der Regel ganz gut damit zu recht, daß im anderen Haushalt andere Regeln gelten. Dafür sprechen Erfahrungen aus anderen Bereichen, in denen Kinder zwei zu Hause haben. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Kinder Teile der Woche bei den Großeltern, bei Pflegeeltern, im Heim oder im Internat verbringen.

 

 

8. Häufig ist es jedoch das Kind, das den Kontakt zum anderen Elternteil ablehnt. Was dann? Sollen Eltern ihre Kinder dann zum Kontakt mit dem Vater oder der Mutter zwingen.

 

Der Wechsel des Kindes von einem zum anderen Elternteil kann als Seismograph gesehen werden. Hier wird das Ausmaß der bestehende Probleme sichtbar. Häufig ist es das Kind, das sie ausagiert, indem es den Kontakt zum anderen Elternteil verweigert. Das heißt aber in aller Regel nicht, daß es den anderen Elternteil nicht mehr liebt oder tatsächlich keine Kontakte mehr will.

 

Insbesondere kleine Kinder müssen lernen mit der Situation umzugehen, die Mutter verlassen zu müssen um den Vater sehen zu können und umgekehrt. Oft genügt es dann die Übergabesituation kindgerechter zu gestalten. Das kann bedeuten den Vater in die Wohnung zu bitten, anstatt das Kind wie ein Paket vor der Haustür abzustellen. Hat das Kind die Gelegenheit, mit dem Vater erst wieder ein wenig warm zu werden und zieht sich die Mutter langsam aus dem Geschehen zurück, dann ist es meist kein Problem mehr, daß das Kind mit dem Vater mitgeht.

 

Oder die Zeitabstände sind zu lang. Dadurch wird das Kind immer wieder der Erfahrung ausgesetzt, der andere habe es jetzt endgültig verlassen, was dem Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung im Wege steht. Hier wäre die richtige Intervention die Zeitabstände zu verkürzen, mehr Nähe herzustellen, indem der andere Elternteil mehr in die Elternaufgaben integriert wird.

 

Manchmal ist das Kind aber zwischen die Fronten geraten und lehnt deshalb den Kontakt mit dem anderen Elternteil ab. Die meisten Kinder geraten in einen Loyalitätskonflikt, wenn die Partnerschaft der Eltern zerbricht. Sie wissen dann nicht, ob sie weiterhin beide Eltern lieben dürfen. Sie sind dann auf die Unterstützung beider Eltern angewiesen. Jeder Elternteil muß dem Kind erlauben den anderen weiterhin zu lieben und diese Liebe offen zu zeigen. Sie müssen dem Kind vermitteln, daß es in Ordnung ist, dem anderen Elternteil gegenüber anders zu empfinden als er/sie selbst.

Manchmal bleibt diese Hilfe der Eltern aus oder ein Elternteil (meist der betreuende) benutzt den Loyalitätskonflikt des Kindes bewußt oder unbewußt dazu, den anderen Elternteil aus dem Leben des Kindes auszugrenzen. Dann kommt es zur Entwicklung eines PA-Syndroms beim Kind: der Aufspaltung der Eltern in einen geliebten (guten) und einen angeblich gehassten (schlechten, bösen) Elternteil.

Meist ist die Mutter der bevorzugte Elternteil und das Kind gibt vor, vom Vater nichts mehr wissen zu wollen. Tatsächlich liebt das Kind den Vater weiterhin. Es verleugnet seine Zuneigung zu ihm, um sich dem manipulierenden Elternteil gegenüber loyal zu zeigen. Die Ursache für das ablehnende Verhalten des Kindes liegt nicht in der Beziehung zum abgelehnten Elternteil, sondern in der Beziehung zum bevorzugten Elternteil.

 

 

9. Wie funktioniert das, wie muß man sich das vorstellen?

 

Bei der Entwicklung eines PA-Syndroms spielt Angst eine große Rolle. Manchmal ist es auch Hass oder Rache, was Eltern so handeln lässt. Die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil soll unterbrochen werden, um die eigene Angst zu reduzieren bzw. um das Bedürfnis nach Rache zu befriedigen oder Hassgefühle auszuleben. Dazu wird das Kind mißbraucht. Es wird erwartet, daß das Kind genauso empfindet und handelt, wie der manipulierende Elternteil. Es wird nicht wahrgenommen, daß das Kind auf die innere Verbundenheit mit dem zweiten Elternteil angewiesen ist.

Mittel, die dazu benutzt werden, sind die Unterbrechung des Kontakts zum Vater und seine Abwertung als Person: er ist ein Lügner, Versager, Betrüger usw. und als Erzieher: er sorgt nicht gut für dich, versteht dich nicht, passt nicht gut auf dich auf. Das Kind erhält die Botschaft, die Zuneigung, die du dem Vater gegenüber empfindest, ist falsch. Er ist keine liebenswerte Person. Der mangelnde Kontakt zwischen Vater und Kind verhindert, daß das Kind eigene (andere) Erfahrungen mit ihm macht. Deshalb hört das Kind mit der Zeit auf, sich auf seine Empfindungen und Gefühle zu verlassen und lebt schließlich die Gefühle des manipulierenden Elternteils. Das jedoch geht zu Lasten der Autonomieentwicklung des Kindes und der Vater-Kind-Beziehung.

 

10. Woran kann man erkennen, ob die Ablehnung manipuliert ist?

 

Ein untrügliches Erkennungszeichen ist, daß das ablehnende Verhalten geringer wird, je weiter der manipulierende Elternteil weg ist. Es kann also durchaus sein, daß das Kind den Kontakt mit dem anderen Elternteil ablehnt, solange sich beide Eltern im Raum befinden oder der manipulierende Elternteil vor der Tür sitzt. Daß das Kind aber problemlos Kontakt mit dem anderen Elternteil aufnimmt, wenn der manipulierende Elternteil weit weg ist.

Ein weiteres Merkmal ist, daß Mimik/Gestik und Gesagtes nicht zusammenpassen. Das Kind lächelt beispielsweise wenn es sagt, daß es traurig sei, wenn es den Vater besuchen müsse.

Oder die Gründe für das ablehnende Verhalten beruhen auf gehörten Ereignissen, nicht auf selbst erlebten. "Meine Mama hat gesagt" ...

Oder die Ablehnungsgründe sind lapidar und würden unter normalen Umständen niemals für ein solches Verhalten ausreichen. z.B. ich muß dort immer den Tisch abräumen, ich habe dort kein eigenes Zimmer usw.

 

 

11.Welche Manöver werden angewandt, um den Kontaktabbruch zu ereichen?

 

Häufig ziehen manipulierende Eltern aus, ohne dem anderen mitzuteilen, wo sich das Kind befindet. Oder es werden immer neue Gründe gefunden, warum Kontakte (noch) nicht stattfinden sollen. Häufig wird dann argumentiert, das Kind brauche Ruhe/Zeit, sich an die neue Situation zu gewöhnen. Besuche des Kindes beim Vater sollten erst dann stattfinden, wenn das Kind in der Lage ist, diese psychisch zu verkraften. Symptome, die das Kind aufgrund der Trennungssituation zeigt, werden als durch den anderen Elternteil verursacht beschrieben: "Patrick ist vor den Besuchen bei seinem Vater immer sehr nervös. Und wenn er zurückkommt, dann dauert es manchmal Tage, bis ich ihn wieder in der Reihe habe. Sein Vater versteht es einfach nicht, richtig auf ihn einzugehen. Er macht Dinge mit ihm, die den Jungen überfordern und aufregen. Deshalb halte ich es für das Beste für das Kind, wenn er künftig weniger Kontakt zu seinem Vater hat oder die beiden sich vorerst nicht sehen."

Ziel ist es, die eigene Beziehung zum Kind stärken, indem die andere geschwächt wird. Es geht darum, sich die dafür notwendige Zeit zu verschaffen. Deshalb werden bestehende Gerichtsentscheidungen entweder zu Lasten des anderen Elternteils ausgelegt, oder einfach ignoriert. Es werden immer neue Gründe gefunden, warum die Gerichtsentscheidung nicht umgesetzt werden kann. Alle anderen Dinge (z.B.Kindergartenbesuch, Besuch bei Freunden, Geburtstage entfernter Verwandter oder Bekannter, selbst bestimmte Fernsehsendungen) sind wichtiger, als die Beziehungspflege mit dem Vater.

 

Meist wird sehr viel Wert darauf gelegt, daß der Wille des Kindes beachtet wird. Manipulierender Elternteil und Kind betonen, daß es die eigenständige und unbeeinflußte Entscheidung des Kindes ist, den anderen Elternteil nicht zu besuchen. Dann ist beispielsweise zu hören: "Der Junge weiß halt was er von seinem Vater zu halten hat. Ich kann verstehen, daß er ihn nicht besuchen will". Anstatt Verantwortung für das Zustandekommen der zweiten Elternbeziehung zu übernehmen, versichert der manipulierende Elternteil dem Kind seine Unterstützung bei der Durchsetzung seines Willens: "Wenn du deinen Vater wirklich nicht besuchen willst, kannst du auf mich zählen. Ich werde alles tun, damit du zu deinem Recht kommst".

 

 

 

12. Welche Manöver werden angewandt, um das Bild im Kind zu verändern?

 

-Eine sehr effektive Methode ist, das Kind einer double-bind Situation auszusetzen. D.h. das

Kind erhält verbal die Botschaft: wenn du willst, kannst du deinen Vater besuchen. Durch Gestik/Mimik wird ausgedrückt: wenn du mich liebst, bleibst du. Die nonverbale Botschaft ist die stärkere, deshalb reagieren die Kinder in der Regel auf diese.

-Wenn das Kind über tolle Erlebnisse mit dem anderen Elternteil berichtet, dann wertet sie der manipulierende Elternteil ab, indem er sie als trivial, unbedeutend oder gefährlich bezeichnet.

-Die Bemühungen des abgelehnten Elternteils mit seinem Kind in Verbindung zu bleiben, werden als "Schikane" bezeichnet. Er wird zum "Störenfried" und "Unruhestifter". Je jünger das Kind ist, um so wahrscheinlich ist es, daß es solche Bewertungen übernimmt, weil es noch nicht in der Lage ist, Situationen eigenständig einzuschätzen.

- Oder es wird behauptet, dem Vater gehe es bei seinen Versuchen Kontakt zu halten, gar nicht ums Kind, sondern darum Macht auszuüben. Dem Kind wird nicht vermittelt, daß der andere aus Liebe zu ihm so handelt.

-Es werden Angstszenarien initiert, ohne realen Hintergrund. Beispielsweise werden die Kinder instruiert, die andere Straßenseite zu benutzen, wenn sie dem anderen Elternteil begegnen oder vor ihm wegzulaufen oder sich zu verstecken, ihm die Tür nicht zu öffnen. Dadurch wird dem Kind vermittelt, dein Vater ist jemand vor dem man Angst haben muß.

-Dem anderen Elternteil wird nicht erlaubt an wichtigen Ereignissen, die das Kind betreffen teilzunehmen, dadurch wird nicht nur die Vater-Kind-Beziehung geschwächt, das Kind erhält auch die Botschaft, dein Vater ist eine unerwünschte Person.

-Aus der Umgebung des Kindes wird alles verbandt, was es an den anderen Elternteil erinnern könnte. Es gibt keine Bilder von ihm und es wird, wenn überhaupt, nur in negativer Weise über ihn gesprochen. Seine Geschenke dürfen nicht angenommen werden bzw. müssen zurückgebracht werden.

 

13. Was raten Sie abgelehnten Vätern?

 

Ich möchte sie ermuntern, sich für den Erhalt der Beziehung zum Kind einzusetzen. Für Kinder ist es in aller Regel besser die Gewissheit zu haben, einen Vater zu haben der für sie kämpft, der sich für sie einsetzt, als einen Vater zu haben, der sich nicht kümmert, der sich ihnen gegenüber gleichgültig zeigt.

Leider wird ausgegrenzten Vätern häufig geraten, sich zurückzuziehen, Mutter und Kind Zeit zu geben, abzuwarten, bis das Kind von selbst den Wunsch nach Kontakt äußere. Dieser Rat ist jedoch falsch. Die Entwicklung eines PA-Syndroms ist ein prozesshaftes Geschehen. Je länger das Kind dem manipulativen Verhalten ausgesetzt ist, je schwieriger wird es, das Syndrom zu stoppen.

Der Vorwurf, Väter handeln konfliktverschärfend, wenn sie auf Kontakte zu ihren Kindern bestehen, ist unberechtigt. Vielmehr steht das Handeln des Vaters in Einklang mit den kindlichen Interessen und stellt eine adäquate und notwendige Antwort auf ausgrenzendes Verhalten dar.

Der erfolgversprechendste Weg ist familientherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dazu ist die Einsicht aller Familienmitglieder notwendig, daß dies im Interesse des Kindes notwendig ist. Meist lehnt der manipulierende Elternteil jedoch eine Teilnahme ab. Dann ist der abgelehnte Elternteil auf die Hilfe des Gerichts angewiesen. Wichtig ist, daß die Gerichte zu keiner Zeit zulassen, daß die Kontakte zwischen Kind und abgelehntem Elternteil unterbrochen werden. Es ist die gerichtliche Anordnung der Kontakte, was dem Kind den notwendigen Freiraum gibt, sich für die Beziehungspflege zu entscheiden. Das Kind muß dann sein Verhalten dem manipulierenden Elternteil gegenüber nicht rechtfertigen. Eine gerichtliche Umgangsanordnung und die Bereitschaft solche Entscheidungen notfalls gegen den Willen des manipulierenden Elternteils durchzusetzen, helfen nicht nur dem Kind. Sie stellen einen Appell an das verlorengegangene Unrechtsbewußtsein des manipulierenden Elternteils dar. Denn er ist sich in der Regel nicht darüber im Klaren, was er dem Kind und dem anderen Elternteil nimmt.